Unter Rampensäuen: Wie du als ruhiger Sprecher nicht untergehst

Unter Rampensäuen: Wie du als ruhiger Sprecher nicht untergehst

Ich dachte ich wäre davor gefeit. Ich dachte, mir würde es nicht mehr passieren.

Pustekuchen.

In die alte Falle neu getappt.

Sie heißt: „Ich unter Rampensäuen“. Oder auch: „wann ich besser nicht schweigen sollte“.

In welche Falle ich im Genauen mal wieder getappt bin, darum geht es hier im Beitrag.

Du erfährst da auch, wie du als leiserer Sprecher in lauter Umgebung nicht untergehst.

Über Zurückhaltung in Gruppen

Bist du auch eher ruhig und zurückhaltend in Gruppen? Wartest du gern erst einmal ab? Hörst du eher erst mal zu?

Das ist ok. Daran glaube ich zutiefst.

Und doch gibt es da diese eine Situation als Selbstständiger, da lohnt es sich, die Dynamiken dahinter zu durchschauen.

Vor allem wenn du als eher introvertierter, schüchterner oder hochsensibler Mensch in einer Gruppe agieren willst.

Sonst tappst du in die Falle. Wie ich.

Ok, ich weiß es gibt sehr wohl Unterschiede in der Charakteristik von introvertierten, schüchternen oder hochsensiblen Menschen.

Aber ganz ehrlich. Eines haben wir doch gemeinsam:

Das „Weniger-Reden“ in Menschenansammlungen.

Das „Sich-Zurück-Nehmen“.

Das Schweigen.

Damit du mit diesem Verhalten in Gruppen nicht untergehst, und es mir auch nicht mehr passiert, schreibe ich diese Zeilen.

 

Von meiner persönlichen Falle

Mir ging es vor ein paar Tagen gerade wieder so. Ich bin jämmerlich zwischen Vielrednern untergegangen. (Und das mit meinem Berufshintergrund!)

Was ist geschehen?

Seit einem Vierteljahr treffe ich mit virtuell mit einer Gruppe Selbstständiger in einer Mastermind. Ich hatte das initiiert, da ich eine Gruppe der Unterstützung wollte, eine, die sich inspiriert. Eine, wo jeder so sein kann, wie er ist, aber dabei auch Platz lässt für die Entfaltung der Anderen.

Doch Pustekuchen. Plötzlich waren die alten Muster wieder da:

Ich die Ruhige, Zurückhaltende in einer Gruppe voller lauter und dominanter Sprecher. So zumindest kam ich mir vor.

Wo bitteschön, war meine Selbstentfaltung geblieben? Ach so und mein Fachwissen, wo war das, wenn ich es brauche? 😉

Als ich dann diese Tage auch noch von einem Mitglied der Gruppe, nennen wir sie jetzt mal Jana, die Rückmeldung bekam: Du ich weiß gar nicht, wofür du stehst. Da musste ich schlucken.

Du musst wissen:

Ich hatte mich gerade intensiv damit auseinandergesetzt, die eigene Positionierung a) zu finden und dann b) nach außen zu tragen. Hatte ich total versagt? Liegt es überhaupt an mir? Und wenn ja: was kann ich tun? (Kann ich was tun?)

Diese Frage finde ich so spannend, dass sie hier jetzt im Mittelpunkt steht:

An wem liegt es, wenn Extrovertierte mehr reden als Introvertierte?

An dem Extrovertierten, der redet ohne Punkt und Komma? Oder am Introvertierten, der ihn nicht unterbricht?

Ist es so, dass wir ruhigeren Sprecher uns einfach mal nicht entfalten können, angesichts Extrovertierter, Selbstdarsteller oder Rampensäue?
Und wenn ja, an wem liegt es dabei?
Daran dass Jana die Gespräche dominiert? Oder liegt es an mir, die sie reden lässt, die geduldig zuhört, die schweigt?

Ich muss ganz selbstkritisch anerkennen:

Zur Kommunikation gehören immer zwei.

Und so tragen wir beide unsere Verantwortungen. Die spannendere Frage für mich hier und heute ist aber, was ich selbst tun kann.

 

Was können wir ruhigeren Sprecher tun, um in Gesprächen und Gruppen nicht unterzugehen und als graue Maus ohne Profil zu erscheinen?

Darum geht es mir heute. Doch schauen wir mal, was da in der Gesprächsdynamik genau passiert:

 

Was passiert, wenn Introvertierte und Extrovertierte zusammentreffen:

In Gruppen mit Introvertierten und Extrovertierten lassen sich auf sprecherische Ebene spannende Phänomene beobachten.

In Gruppen finden immer Statusspiele statt. Wer hat gerade die wichtigste Rolle? Wer ergreift das Wort? Wer unterbricht wen?

Bei der Gesprächsführung zwischen eher extrovertierten und eher introvertierten Sprechern lässt sich Folgendes beobachten:

 

  • Extrovertierte ergreifen eher das Wort.
  • Extrovertierte reden länger.
  • Extrovertierte reden häufiger.
  • Extrovertierte unterbrechen eher.

 

Soweit so gut. Das Problem daran? Unterbrechen sowie viel, oft und lang reden sind Merkmale des sogenannten Hochstatus.

Hochstatus ist eine Idee des Statuskonzeptes wie es im Schauspiel u.a. bei Keith Johnston genutzt wird.

Im Hochstatus zeige ich meiner Umwelt, dass ich wichtig bin.

Sie ist eher bereit mich als Experte und Autorität zu akzeptieren. Andere Verhaltensmerkmale von Hochstatus sind die Länge des Blickkontaktes, raumgreifende Gesten, ein fester Stand, eine tiefe Stimmlage usw.

Ganz wichtig dabei:

1. Status ist KEINE festgelegte Eigenschaft sondern die Folge eines (änderbaren) Verhaltens!

2. Ein Merkmal alleine macht keinen Hochstatus.

3. Ob jemand Hochstatus bekommt, liegt immer an Zweien. An dem, der ihn sich nimmt und an dem, der es zulässt. (Man spricht da von Fremdzuweisung und Selbstzuweisung.)

 

Nun lässt sich beobachten, dass ruhigere Sprecher Pausen länger aushalten. Das ist nichts anderes als ein Verhalten – welches sich somit ändern lässt!!!

Meist folgt diesem Verhalten aber eine Reaktion auf anderer Seite.

Das (extrovertiertere) Gegenüber beendet die Pause und beginnt zu sprechen. Wenn das ein paar Mal so läuft, kommt der ruhigere Sprecher deswegen auch weniger oft zu Wort. Alles nur wegen einer Verhaltensvorliebe!

Dieses Phänomen gibt es auch, wenn Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammen sprechen.

Bei Deutschen und Finnen ist es ausgiebig untersucht worden. Finnen wirken auf die Deutschen oft langweilig, ruhig, unentschieden. Der Grund: Sie halten die Pausen zwischen zwei Redebeiträgen viel länger aus, als wir Deutschen. Die Pause im Finnischen, nachdem ich etwas gesagt habe, muss viel länger sein, um zu signalisieren: Ich bin fertig. Jetzt bist du dran.
Die Deutschen wirken dagegen auf die Finnen unhöflich, denn wir unterbrechen sie einfach immer! Logisch. Unsere Pausen sind viel kürzer.

 

Kann es sein, dass extrovertiertere und introvertiertere Sprecher einfach anderen Kulturen angehören?

Die Introvertierten lassen sich mit den Finnen vergleichen. Wir halten die Pausen länger aus. Dadurch fällt man uns schneller ins Wort. Dadurch geben wir dem anderen Hochstatus und wirken dagegen kleiner und weniger wichtig. Doof für die eigene Sichtbarkeit.

Zu Beginn meiner Selbstständigkeit hatte ich einmal diesen Mann im Call Center Training, der ununterbrochen geredet hat. Irgendwann fragte ich ihn, ob es ihn stört, wenn ich ihn unterbreche. Ich müsste es tun, sonst käme ich gar nicht mehr zu Wort und wir würden nie fertig werden.

Seine Antwort hat mich verblüfft: Nein, er erwarte sogar, dass wir ihn unterbrechen!

Wahrscheinlich ist es seine Art, wie er in seiner Herkunftsfamilie den Sprecherwechsel erlernt hat.

Jana wahrscheinlich auch. Und weil ich (für sie) schweige/ (für mich) die Pause aushalte, ergreife ich nicht das Wort sondern sie. Resultat nach 10 Treffen: Sie hat entsprechend mehr und häufiger geredet und dann noch den Eindruck ich wär ne graue Maus.

Wenn jemand dominant ist, dass heißt viele Redebeiträge sagt, oft redet, oft in Pausen reingeht und oft unterbricht, dann nervt mich das auf Dauer. Es nervt mich zurecht, denn es gibt mir eine Rolle. Eine Rolle die ich nicht immer haben will.

Muss ich diese Rolle akzeptieren? Kann ich mich wehren, indem ich den Verhaltenskodex eines extrovertierteren Sprechers folge? Oder kann ich zwischen Schweigen und extrovertiert agieren auch noch etwas Anderes tun?

Hier eine kleine Checkliste an Möglichkeiten:

 

4 Strategien für ruhige Sprecher, um unter Rampensäuen nicht unterzugehen

 

1. Rückzug:

Ich kann die Gruppe verlassen, mich zurückziehen oder schweigen. Und mir dann an anderer Stelle eine passendere Gruppe suchen.

Zulässige Strategien. Doch wird das im Business nicht immer möglich sein. Und schon gar nicht klug.

Bei Statusspielen gilt zudem:

wenn ich das Spiel nicht mitspiele, dann bin ich automatisch immer der Verlierer.

Ich bin dann automatisch im Tiefstatus.

Wenn es dir also darum geht, als Experte sichtbar zu sein, dann ist das vermutlich nicht die ideale Lösung.

Daher muss eine andere Strategie her!

 

2. Die Mittel der Anderen nutzen:

Da Status nur vom Verhalten abhängt, kann ich andere Verhaltensweisen wählen. Zunächst die, die mein Gegenüber ebenso benutzt:

 

  • Ich kann öfter reden.
  • Ich kann länger reden.
  • Ich kann lauter reden.
  • Ich kann häufiger unterbrechen.

 

Damit nutze ich Signalmittel des Hochstatus.

Wenn mein Gegenüber das auch weiterhin macht, befinden wir uns mitten in Machtkämpfen. Ich unterbreche ihn, er unterbringt mich, ich wieder ihn usw.

Dazu kommt es aber weit seltener, als wir denken. Ein eher extrovertierter Mensch mit solchen Gesprächsstrategien macht das nicht aus Kalkül oder um uns zu ärgern.

Die reden einfach öfter, weil sie es nicht anders wissen oder ertragen.

Die meisten sind sogar froh, wenn der ruhigere Gesprächspartner öfter reden. Oft sind sie dann erleichtert! Und: SCHWEIGEN!

 

3. Andere Mittel des Hochstatus nutzen:

Wenn mir Mittel wie viel reden, unterbrechen und laut sein nicht so liegen, ich aber dennoch nicht im Tiefstatus versinken will, lassen sich andere Mittel, die Hochstatus signalisieren, einsetzen.

Je nachdem ob ich online, per Telefon oder offline unterwegs bin, lassen sie sich unterschiedlich gut anwenden.

Hier eine kleine Sammlung an Möglichkeiten:

 

  • Intensiven Blickkontakt halten (als letzter wegsehen)
  • Mit tiefer Stimme sprechen
  • Pausen innerhalb meines Redebeitrags nutzen (dazu aber die Stimme in der Schwebe lassen um zu signalisieren: ich bin noch nicht fertig)
  • Mich nicht unterbrechen lassen z.B. konkret ansprechen „ich war noch nicht fertig …“
  • Große raumgreifende Gestik nutzen
  • Fester, sicherer Stand mit beiden Beinen am Boden
  • Aufrechte aber entspannte Haltung (im Sitzen)
  • Betonen des eigenen Expertenstatus

u.a.m.

 

4. Metaebene:

Du bist in einer Gruppe und kommst nicht zu Wort?

Wenn du dauerhaft mit dieser Gruppe arbeiten willst, lohnt es sich, das Thema anzusprechen. Das ist nicht angenehm, aber es ist spannend zu schauen, was passiert.

Also sag, was du wahrnimmst und beobachtet hast und frag, wie die Anderen das sehen und was Ihr tun könnt, damit es allen in Zukunft wohl geht.

 

Was ich gewählt habe?

Erstens habe ich die Metaebene angesprochen.

Zweitens schaue ich, wo mein Verhalten (aus Bequemlichkeit) dazu geführt hat, dass ich mal wieder so zurückhaltend war, dass mein Gegenüber mich gar nicht spüren konnte. An diesen Stellen komme ich aus meiner Komfortzone (meinem Schneckenhaus) und kommuniziere bewusst und aktiv.

Es ist die Art von Wertschätzung, die mein Gegenüber – Jana – zu schätzen weiß, habe ich gemerkt.

 

Fazit:

Wenn lautere und leisere Menschen miteinander kommunizieren, dann lässt sich oft das Phänomen beobachten, dass die leisen immer leiser werden.

Meist liegt das an unterschiedlichen Verhaltensweisen im Gespräch. Diese führen aber zu einer Wirkung bei allen. Daher lohnt es sich die Statusspiele in Gesprächen zu hinterschauen.

Was introvertierte Sprechen tun können, lässt sich in 3 Gedanken zusammen fassen:
Erstens beobachte, was genau im Gespräch passiert.
Zweitens spiele mit den Redestrategien des Hochstatus.
Drittens zeige Profil und Präsenz, indem du ansprichst, was passiert.

 

Welche Erfahrungen hast du gemacht? Beide Seiten und Meinungen – die lauteren und leiseren – sind willkommen! Welche Tipps hast du für (uns) ruhigere Sprecher?

 

Bildnachweis: „Curious young pigs in a stable“ by DutchScenery; canva.com

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